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Mittelweserschleusen Stoßschutzanlagen

Wozu dient eine Stoßschutzanlage?

Eine Stoßschutzanlage an einer Schleusenanlage dient dem Schutz des Schleusentores vor einer Schiffsanfahrung. Die Schutzfunktion ist dann erforderlich, wenn ein Schiff von Oberwasser in die Schleusenkammer einlaufend nicht rechtzeitig vor dem geschlossenen Untertor auf stoppen kann, z.B. auf Grund eines technischen Defekts. Die Schutzfunktion wird dadurch erbracht, dass vor dem Untertor in ca. 7 m Entfernung ein Stahlseil in Fangstellung („Arbeitsstellung“) als Bremsseil quer über die Schleusenkammer gespannt wird. Die Höhenlage des Seiles über dem Oberwasserstand beträgt hierbei ca. 1,20 m. Ein nicht rechtzeitig abgestopptes Schiff fährt mit dem Vorschiff in das vorgespannte Bremsseil. Während der Schleusung zu Tal, hebt die Stoßschutzanlage das Seil an („Höchststellung“), um eine freie Durchfahrtshöhe (Lichtraumprofil) für die Schiffe beim Passieren des Unterhauptes (einlaufend und auslaufend) zu garantieren.

Das Foto zeigt die 2-armige Stoßschutzanlage der Schleusenanlage Langwedel  in Arbeitsstellung. Das  Schiff bereitet sich zur Talschleusung vor und man sieht das gespannte Stoßschutzseil. Schleusenanlage Langwedel 2-armige Stoßschutzanlage

Stoßschutzanlagen an den Mittelweserschleusen

In den 1970er und 1980er Jahren wurden fünf Schleusenanlagen an der Mittelweser nachträglich mit einer Stoßschutzanlage für das 1.350 Tonnen Europa-Schiff ausgestattet. Regiearbeiten der Wasserstraßen- und Schifffahrtsämter (WSA) hatten gezeigt, dass Schleusenanlagen im Allgemeinen nach einer Schiffsanfahrung am Untertor mehrere Wochen für die Schifffahrt gesperrt werden müssen, da die Instandsetzungsarbeiten eines angefahrenen bzw. beschädigten Tores eines hohen zeitlichen Aufwands bedürfen. Insbesondere an Wasserstraßen mit nur einer einzigen Schleusenkammer pro Staustufe – wie es an der Weser der Fall ist - besteht generell das Risiko, dass nach einer Anfahrung des Schleusentores der gesamte Schiffsverkehr auf der betroffenen Wasserstraße für unbestimmte Zeit zu erliegen kommt. Die Einstellung des Schiffsverkehrs führt in aller Regel zu einem volkswirtschaftlichen Schaden der betroffenen Reedereien, Fahrgastschifffahrt und der schifffahrtsabhängigen Unternehmen in der Region.

Stoßschutztypen & Funktionsweise

An den Mittelweserschleusen sind zwei unterschiedliche Typen von Stoßschutzanlagen verbaut.

1-armige Stoßschutzanlagen

Die Schleusenanlagen in Drakenburg und Landesbergen wurden mit einer 1-armigen Stoßschutzanlage ausgestattet, da sich an den beiden Anlagen der schiffbare Wasserstand relativ konstant verhält. Die 1-armigen Stoßschutzanlagen sehen jeweils immer dieselbe Seilhöhe bzw. Position zur Fangstellung vor.

Das Foto zeigt die 1-armige Stoßschutzanlage der Schleusenanlage Drakenburg in Höchststellung. Schleusenanlage Drakenburg 1-armige Stoßschutzanlage

An den 1-armigen Stoßschutzanlagen wird das Seil mit Hilfe eines Schwenkbalkens abgelegt bzw. aufgenommen. In der Position „Höchststellung“ hängt das Seil mit seinem Seilkopf an der Seilkopfaufnahme des Schwenkbalkens. Der Schwenkbalken steht in dieser Position senkrecht zur Schleusenkammer. Das andere Ende des Seils ist im entspannten Zustand fest mit einem Bremszylinder verbunden. In der Höchststellung können die Schiffe ungehindert das Unterhaupt (einlaufend/auslaufend) passieren.  

Sobald der Befehl zur „Arbeitsstellung“ eingeleitet wird, fährt der Schwenkbalken in die waagerechte Position und legt den Seilkopf mit Seil auf der gegenüberliegenden Kammerseite in die Seilkopfaufnahme ab. Anschließend verfährt der Schwenkbalken wieder in die senkrechte Position. Zum Schluss wird das Seil durch den Bremszylinder gespannt. Die Stoßschutzanlage befindet sich jetzt in der „Arbeitsstellung“ (Fangstellung).

Bei einer Anfahrung übt die nun auf das Seil einwirkende Schiffskraft über eine Umlenkrolle eine Zugkraft auf den Bremszylinder aus. Der Druck im Bremszylinder steigt soweit an, bis die Druckbegrenzungsventile öffnen. Das Hydrauliköl fließt aus dem Zylinder ab, die Kolbenstange fährt aus und stellt somit mehr Seillänge unter Aufrechterhaltung der eingestellten Gegenkraft vor dem Schiff zur Verfügung. Hierdurch wird das Schiff relativ weich aufgestoppt bzw. abgebremst. Der Bremszylinder fährt nur soweit aus, bis die Kraft aus dem Schiffsstoß kleiner ist, als die über die Druckbegrenzungsventile eingestellte Gegenkraft.

2-armige Stoßschutzanlagen

Die Schleusenanlagen in Petershagen, Schlüsselburg und Langwedel wurden jeweils mit einer 2-armigen Stoßschutzanlage ausgestattet. Der Grund für die unterschiedliche Bauweise ergibt sich aus der Notwendigkeit, an den drei Schleusenanlagen regelmäßig wechselnde Wasserstände (Kammerpegel) vorzufinden. Um die Position des Fangseiles (Bremsseiles) an den jeweiligen Wasserständen anpassen zu können, müssen die Schwenkarme samt Seil beidseitig variabel einstellbar sein. Die an der Kammer angeordneten Schwenkarme der 2-armigen Anlagen lassen sich in unterschiedliche definierte Fangstellungen verfahren, je nach Höhe des Wasserstands. Bei diesen Stoßschutzanlagen wird die Seilführung zu jeder Seite auf eine Umlenk-Seilscheibe an der Spitze des jeweiligen Schwenkarmes der Stoßschutzanlage geführt. Von dort aus verläuft das Seil in das Innere der jeweilige Schwenkarm in einen Bremszylinder. Die Funktionsweise der Bremszylinder gleichen die der 1-armigen Stoßschutzanlagen.

Das 1. Foto zeigt die 2-armigen Stoßschutzanlage der Schleusenanlage Petershagen in Höchststellung und das 2. Foto zeigt die 2-armigen Stoßschutzanlage der Schleusenanlage Langwedel in Arbeitsstellung. 2-armige Stoßschutzanlagen 2-armige Stoßschutzanlagen

Ertüchtigung der Stoßschutzanlagen an den Mittelweserschleusen

Durch den Einsatz von Großmotorgüterschiffen (GMS) auf der Mittelweser seit 2018 vergrößern sich u.a. die Bemessungsmassen für die vorhandenen Stoßschutzanlagen. Demzufolge sind die Stoßschutzanlagen zur Aufnahme eines Arbeitsvermögens von 1,50 MNm statt 1,25 MNm zu ertüchtigen. Die Anlagen in Drakenburg und Landesbergen wurden bereits im Jahr 2017 ertüchtigt. Die Anlage in Schlüsselburg befindet sich nach dem Umbau im März 2020 wieder im Betrieb und die Anlage in Petershagen wird im Jahr 2021 ertüchtigt.

Die Ertüchtigung sieht neben der Verstärkung und der kompletten Konservierung des Stahlbaus u.a. den vollständigen Neubau der Steuerungs- und Elektrotechnik, der gesamten Hydrauliktechnik, der Schwenkzylinder sowie der Drehlageböcke zur Aufnahme der Schwenkarme vor.